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Freitag, 30. März 2018

Kapitel 39 - Die Bewährungsprobe



Als sie an diesem Abend den Heimweg antraten, konnte sich Elrik nicht einmal vorstellen, gleich von seiner Akara getrennt sein zu müssen. Die letzten paar Stunden hatten sie zusammen verbracht, und sie hatten nichts anderes getan, als sich in den Armen zu liegen und sich zu küssen. Es war kaum ein Wort gefallen, weshalb es Elrik für einen Moment merkwürdig war, als sich Akara nun doch von ihm löste und sich von ihm verabschiedete.
     „Aber du kommst zu meinem Einführungsfest, ja?“, erinnerte er sie. „Es ist morgen Abend.“
     Akara nickte und zeigte ihm ihr süßes Lächeln, dann hob sie die Hand zum Abschied und war so schnell weg, dass es Elrik ein bisschen überstürzt vorkam. Er sah er ihr nach und genoss die Schmetterlinge, die in seinem Bauch tanzten, bevor er sich leidigeren Dingen zuwandte.
     Die Schmetterlinge verwandelten sich augenblicklich in stachelige Raupen, als er den Hof seiner Eltern groß und unheilvoll vor sich aufragen sah. Es dunkelte bereits, und er war den ganzen Tag verschwunden gewesen, ohne, dass er jemandem Bescheid gegeben hatte. Das würde mächtigen Ärger geben. Wenn er Glück hatte.


Zu seiner Verwunderung war es aber nicht etwa eine wütende Meute, angeführt von seinem Vater, die ihn empfing, sondern Schamane Lu, der scheinbar auf ihn gewartet hatte. Als er seiner ansichtig wurde, kam er auf ihn zu. Sein Gesicht so ausdruckslos, dass Elrik unmöglich sagen konnte, was er dachte; ob er jetzt doch Ärger bekommen würde oder ob jemand gestorben war.


„Da du kein Kind mehr bist, werde ich dich nicht fragen, wo du gewesen bist, aber ich möchte dich davon in Kenntnis setzen, dass dein Vater außer sich war, als er bemerkt hat, dass du weg warst“, begann er.
     Elrik wurde kalt, aber er zwang sich, sich zusammenzureißen. Trotzdem fehlten ihm die Worte.
     „Ich habe gesagt, dass ich dich losgeschickt hätte, um spezielle Kräuter für dein Stammesführerritual zu suchen“, beruhigte Lu ihn. „Aber du kannst dir vorstellen, dass er nicht sonderlich erfreut darüber war. So etwas werde ich nicht noch einmal tun können.“
     Er betrachtete ihn einen Moment lang abwartend, dass Elrik etwas dazu sagte. Was er nicht tat. Dann mahnte er: „Elrik, ich weiß, dass du in letzter Zeit öfter weg bist, weshalb ich inzwischen auch nicht mehr davon ausgehe, dass du nicht mehr auftauchst. Es geht mich auch nichts an, wo du hingehst, aber du wirst bald der neue Stammesführer sein und als solcher solltest du mehr Verantwortung zeigen. Wenn du den Stamm anführen willst, kannst du nicht einfach verschwinden, ohne jemandem Bescheid zu geben. Das Leben in einem Stamm bedeutet nicht nur Zusammenhalt, sondern auch, dass wir einander vertrauen und aufeinander bauen können. Und das gilt nicht nur für den Stammesführer. Deshalb – gibt es vielleicht etwas, über das du mit mir reden möchtest?“
     Elrik fühlte sich in die Vergangenheit zurückversetzt. Damals, als sein Vater ihn gefragt hatte, ob er die Wahrheit bezüglich seiner Entführung durch die Hells gesagt hatte. Er hatte seinen Vater angelogen, und er wusste noch immer nicht, ob das die richtige Entscheidung gewesen war. Genauso wenig, wie er wusste, was er jetzt tun sollte. Lu schien, im Gegensatz zu seinem Vater, vernünftiger zu sein, und Elrik wusste, dass dem Schamanen wirklich etwas am Frieden lag. In ihm konnte er vielleicht einen wichtigen Verbündeten haben.
     Gleichzeitig erinnerte er sich aber auch an Akaras Bitte, ihre Beziehung vorerst für sich zu behalten. Sie wollte dabei sein, wenn er es seinen Leuten erzählte und sie hatte gleichzeitig Angst, dass ihr Vater zu früh davon erfuhr. Und letztendlich war Lu als Schamane auch noch seinem Vater, der noch immer Stammesführer war, verpflichtet. Ganz davon abgesehen, dass die beiden Freunde waren.
     Es war ja auch nicht so, dass er etwas Gefährliches tat. Nein, seine Eltern, der Stamm, sie alle würden schon bald genug erfahren, mit wem er sich die letzte Zeit immer wieder traf. Wenn er dann erstmal Stammesführer war, würde er auch keine Geheimnisse mehr vor den Anderen haben, das schwor er sich.      


Also sagte er: „Nein, Schamane, es gibt nichts zu erzählen. Es ist alles in Ordnung.“
     Lu war natürlich skeptisch. Das sah man ihm an der Nasenspitze an, so, wie man es Elrik wahrscheinlich ansah, dass er log. Doch obwohl dieser befürchtete, dass er nachbohren würde, gab sich der Schamane anscheinend damit zufrieden.
     „Nun gut, dann will ich dir vertrauen. Du weißt schließlich selber, dass du nichts Gefährliches oder Unvernünftiges tun solltest.“
     Es sollte vielleicht nicht so klingen, aber es kam Elrik dennoch wie eine Mahnung vor, und für einen Moment hatte er das Gefühl, dass er tatsächlich etwas verbrochen hatte. Als Lu dann schließlich ging und ihn allein zurückließ, fühlte er sich schlecht, und er nahm sich vor, den Schamanen kein zweites Mal zu belügen.


Am nächsten Morgen dann fühlte er sich noch schlechter. Der gesamte Stamm hatte sich versammelt, und momentan richteten sich viel zu viele Augenpaare erwartungsvoll auf ihn. Er hatte gestern zwar keinen Ärger von seinem Vater bekommen, aber er hatte bemerkt, dass der Stammesführer auf den Schamanen ziemlich sauer gewesen war. Vor allen Dingen dessen Blick, der gerade aufmunternd auf ihn lag, traf ihn deshalb doppelt so hart.
     „Und du weißt, wenn du in Gefahr gerätst, ergreife die Flucht“, sagte sein Vater gerade mit erhobenem Zeigefinger. „Dein Leben ist wichtiger, als das Bestehen der Prüfung.“
     Er bedachte ihn nun schon gefühlt seit dem Aufstehen mit seinen Lektionen, und Elrik hatte irgendwann aufgehört, zuzuhören. Sein Frühstück lag ihm schwer im Magen und er wünschte sich in diesem Moment, dass er darauf verzichtet hätte.
     Er zwang sich, mit seinen Gedanken ins Diesseits zurückzukehren und zu nicken, als es schließlich für längere Zeit still blieb und sich alle damit begnügten, ihn anzustarren.


Er hatte ein tapferes Gesicht aufgesetzt und er behielt es, bis er den Anderen den Rücken zukehrte. Dann fiel es in sich zusammen. 
     Er hörte Lu etwas über den Segen der Götter sagen, spürte den Blick der Anderen im Nacken, die sie alle so viel von ihm erwarteten, und das war es letztendlich, was ihn vorwärts trug. Obwohl er gerade nichts sehnlicher wollte, als sich in seinem Schlaffell einzurollen und den Tag zu verschlafen.


Es war ein herrlicher Sommertag. Die Sonne schien schon seit dem frühen Morgen hell und kräftig. Keine Wolke wagte es heute, sich ihr in den Weg zu stellen. Die Natur grünte und blühte, Insekten schwirrten umher und er konnte in der Ferne eine Zikade zirpen hören. Es war etwas zu warm, aber als er in den Schatten des Waldes abtauchte, war es genau richtig. Ein perfekter Tag, um jagen zu gehen.
     Doch Elrik hatte kein Auge für den sonnigen Tag oder die Schönheit des sommerlichen Waldes. Er sah nicht einmal die vielen Tiere, die durchs Dickicht sprangen und die eine perfekte Beute für ihn gewesen wären. Denn er wollte nicht jagen gehen. Er fragte sich ja noch immer, warum er so etwas überhaupt tun musste. Warum musste ein Stammesführer die Jagd beherrschen, wo ihre Nahrung inzwischen beinahe ausschließlich vom Feld stammte? Sollte er nicht lieber zeigen, wie gut er pflügen und säen konnte?
     Das hier war einfach nur eine veraltete, überholte Tradition, aber nichtsdestotrotz musste er sie absolvieren, wenn er Stammesführer werden wollte. Akara zuliebe. Das Problem daran war nur, dass es nicht nur an seinem Unwillen lag. Wenn es das nur gewesen wäre. Nein, er hatte schon oft beim Schlachten auf dem Hof geholfen, aber er war einfach schlecht darin, durch den Wald zu schleichen und wie ein Wilder seiner Beute nachzusetzen.
     Dementsprechend endete seine Jagd auch, bevor sie überhaupt angefangen hatte. Er lehnte sich an den nächsten Baum, den er finden konnte, kaum, dass er sich sicher sein konnte, dass der Wald ihn vor den Blicken seiner Leute abschirmte, und seufzte schwer.


Er saß er da, starrte zum strahlend blauen Himmel hinauf, als würde dort die Antwort liegen, und sinnierte darüber, was er nun tun sollte. Ab und an sprang er auf die Beine, focht einen Starrwettbewerb mit seinem Speer und verlor dann doch nur wieder, um an den Anfang zurückzukehren.


Das ging eine ganze Weile lang so, bis ihm plötzlich ein Licht aufging. Er brauchte ein Beutetier, aber niemand hatte ihm gesagt, dass er es unbedingt in einem Zweikampf mit einer wilden Bestie erlegen musste. Er konnte das auch anders regeln. Mit Köpfchen.


Also hatte er sich daran gemacht, eine Falle zu bauen. Er hatte mit Händen, Steinen und einer abgebrochenen Rindenschale ein Loch gegraben und dann überlegt, wie er sein Werk am besten tarnen konnte, damit ein Tier hereinfallen würde. Es muss nicht gesagt werden, dass er im Fallenbau auch keine sonderlich große Leuchte war. Sein Stamm pflegte solche Dinge für gewöhnlich direkter, brachialer, anzugehen.
     Nachdem er den ganzen Morgen mit Graben und einen guten Teil des Nachmittages damit zugebracht hatte, eine Matte aus Zweigen und Gräsern zu flechten, war es endlich soweit. Noch ein paar Äpfel an seinem Werk befestigt, um hungrige Tiere anzulocken, und fertig war das Ganze.


Passend dazu suchten sich Akara und Wirt diesen Moment aus, um aufzutauchen. Er hatte Akara davon erzählt, dass er heute seine Bewährungsprobe antreten würde. Es war eines der wenigen Dinge gewesen, für die sie sich lang genug voneinander gelöst hatten, um darüber zu sprechen. Und anscheinend hatte sie es ihrem Bruder erzählt.


„Und? Wie sieht es aus?“, wollte Akara sogleich wissen.
     „Ich habe eine Falle gebaut. Siehst du? Da!“, erzählte Elrik und wies stolz auf sein Werk. „Schlau von mir, nicht?“


Elrik war zufrieden mit sich und er erwartete das auch von Akara. Aber als er sie ansah, war es ihm, als sähe sie ein bisschen skeptisch aus. Aber das täuschte bestimmt nur.
     „Ähm… weißt du, das ist… das hast du toll gemacht, aber vielleicht solltest du auch versuchen, aktiv auf die Jagd zu gehen.“ Sie wies auf ihren Bruder. „Wirt kennt sich gut damit aus. Er kann dir bestimmt helfen.“
     Wie immer beschränkte sich Wirt darauf, die Unterhaltung schweigend mitzuverfolgen, als wäre er gar nicht da. Es war nicht einmal möglich, zu sagen, ob er überhaupt zuhörte oder sich darauf beschränkte, den aktuellen Sprecher mit seinen sumpfgrünen Augen ausdruckslos anzuschauen. In letzter Zeit war er immer ruhiger geworden, sodass Elrik inzwischen häufig Monologe führte, wenn sie miteinander sprachen. Nicht, dass Wirt davor so sonderlich mehr gesprächig gewesen war.  
     Elrik wusste jedenfalls nicht, wozu das gut sein sollte, jetzt noch jagen zu gehen. Er war sich absolut sicher, dass seine Falle vollkommen ausreichen würde und er bald schon einen Hasen oder einen Hirsch gefangen haben würde. Vielleicht sogar ein Wildschwein.


In diesem Moment brach etwas durch die Büsche hinter ihnen und Elrik hatte schon die Befürchtung, dass er tatsächlich ein Wildschwein beschworen hatte. Doch stattdessen sah er sich ausgerechnet Jana, Rahn und Aan gegenüber. Nicht, dass Jana nicht minder bedrohlich aussah, als ein Wildschwein. Zumindest begann sie gerade wütend zu schnaufen wie eines, als sie ihn bemerkte.


So war das nicht geplant gewesen. Bevor Jana noch irgendwelche wilden Tiere auf sich aufmerksam machen konnte, war Elrik lieber zu den Neuankömmlingen rübergegangen.
     „Was denkst du, was du eigentlich hier machst?“, empfing sie ihn grimmig. „Statt ordentlich deine Prüfung zu machen, triffst du dich mit denen da?“      
     „Was macht ihr eigentlich hier, ist eher die Frage.“
     „Ich hab’s gerochen, dass was nicht stimmt. Ich dachte, du würdest schummeln wollen. Also hab ich Aan ausgequetscht und er hat‘s mir erzählt, was du vorhast.“
     Elrik ließ seinem Freund einen beleidigten Blick zukommen, aber der bekam das gar nicht mit. Aan war viel zu sehr damit beschäftigt, sich zu fürchten, wie es aussah. Und da fiel Elrik auch auf, dass es das erste Mal seit ihrem unglücklichen Jagdausflug war, dass er wieder im Wald war. Sofort befiel ihn die alte Schuld dem Freund gegenüber und jegliche Wut war augenblicklich verraucht.


„Und was versprichst du dir von, dich mit dem Feind abzugeben, hä? Willst du uns etwa verraten?“, fuhr Jana ihn plötzlich an.
     Elrik erschrak gewaltig, als er das hörte. „Natürlich nicht!“
     Er drehte sich zu den beiden Hell-Geschwistern und winkte sie zu sich. Aber es kam nur Akara. Jana hatte noch immer eine so einschüchternde Wirkung, dass Wirt lieber einen Sicherheitsabstand zu ihr bewahrte, wie es schien.


Als Akara dann neben ihm stand, da, wo sie hingehörte, erklärte er feierlich: „Das ist Akara. Sie wird bald zu uns kommen und meine Gefährtin werden.“


Akara legte ihr freundlichstes Lächeln auf, aber es reichte nicht. Jana sah zuerst aus, als hätte er gesagt, er wolle einen Wolf zur Frau nehmen, und dann fletschte sie die Zähne, als sei sie selbst einer.
      Doch es war Rahn, der bislang nur schweigend beobachtet hatte, der sich zu Wort meldete: „Ich brauche dir nicht zu sagen, dass dein Vater das nicht billigen wird, oder? Und nicht nur er wird eure Verbindung nicht gutheißen.“


Akaras Augen wurden groß und er sah, dass sie sich auf die Lippe biss. Aber ihn beeindruckte das nicht. Es war schließlich nichts, was er nicht schon bedacht hatte.
      „Und wenn schon!“, erwiderte er trotzig. „Was soll er denn schon machen? Wenn ich erstmal Stammesführer bin, habe ich das Sagen und dann werde ich diesen dummen Streit beenden, und wenn es ihm nicht passt, kann Vater gerne gehen! Er hat mir auch nichts zu meiner Frauenwahl zu sagen! Das geht ihn nichts an!“
     Es war einen Moment lang so still, dass man das Rauschen der Blätter im Wind und das Brechen von Zweigen hören konnte. Jana sah noch immer aus, als hätte sie einen schlechten Geruch in der Nase und Rahn bedachte ihn nur mit seinem verständnislosen Blick, der Elrik ärgerte, wenn er ehrlich war.
     „Über solche Dinge solltest du mit deinem Vater lieber vor der Zeremonie sprechen. Er ist noch immer der Stammesführer, aber in erster Linie ist er auch dein Vater. Du solltest ein bisschen Vertrauen in ihn haben.“


Rahn wollte noch etwas sagen, aber Elrik hatte genug gehört und fuhr dazwischen: „Dann sollte er ein bisschen mehr Vertrauen in mich haben, dass ich weiß, was ich tue! Ich…“


Seine restlichen Worte gingen in einem grässlichen Geräusch von splitterndem Holz unter. Und als sie sich umdrehten, konnten sie sehen, dass die Abdeckung von Elriks Falle zerbrochen aus dem Loch ragte, das er gegraben hatte.


Sie gingen also nachsehen, und da konnten sie feststellen, dass doch tatsächlich ein Wildschwein blind oder verzweifelt genug gewesen war, um auf die sehr offensichtliche Falle hereinzufallen. Es war vielleicht nur ein kleines Schwein, vielleicht noch ein Frischling, aber er hatte es gefangen und das war alles, was letztendlich zählte. Denn damit hatte er seine Prüfung bestanden und konnte endlich der neue Stammesführer werden.
     Doch noch während er sich darüber freute und Jana nicht fassen konnte, dass er mit seiner stümperhaften Falle tatsächlich etwas gefangen hatte, traf Rahns mahnender Blick ihn, und seine Freude erhielt augenblicklich einen herben Dämpfer.


Der Blick verfolgte ihn auch noch, als sie mitsamt Beute dann wieder zurück den Hof zurückgekehrt waren. Er hatte Rahn und den Anderen das Versprechen abgenommen, sein Geheimnis für sich zu behalten, aber er konnte nichts dagegen tun, dass er dennoch Magenschmerzen deswegen hatte.
     Seine Eltern und seine Großeltern hatten sich inzwischen versammelt, und sie alle waren mächtig stolz auf ihn. Er sollte es auch sein, doch in diesem Moment fühlten sich ihre Glückwünsche nicht etwa gut an. Sie waren wie Stiche, die sein ohnehin schon schlechtes Gewissen noch vergrößerten.


War es wirklich das Richtige, was er tat?


Dass er alle anlog, die ihm vertrauten? Die so große Hoffnungen in ihn setzen?


Und was würde das letztendlich für einen Anführer aus ihm machen? Aus ihm, der seinen eigenen Leuten nicht genug vertraute, um sie in sein Vorhaben einzuweihen?


Akara stand am Brunnen und betrachtete nachdenklich ihr Gesicht, das ihr im schwindenden Tageslicht aus dem Wasser heraus entgegensah. 
     Sie hatte Zweifel. Sicher, sie hatte schon von dem Moment an, als Elrik sie gefragt hatte, seine Gefährtin zu werden, Sorgen gehabt. Es war schließlich klar, dass keiner ihrer Eltern diese Verbindung gerne sehen würde. Aber sie hatte dennoch nicht mit so viel Gegenwind gerechnet. Auf ihre Seite ja, aber dass selbst Elriks Leute sie derart abweisend behandelt hatten, hatte sie erschreckt.
     Der Mann mit dem Bogen, aber vor allen Dingen das Mädchen, das sie derart hasserfüllt angesehen hatte. Da war Akara klar gewesen, dass sie beim Uruk-Stamm nicht willkommen sein würde. Und das machte ihr Angst.


Ihre Gedanken wurden abrupt unterbrochen, als sich Anya ihr von hinten näherte. Akara zuckte zusammen. Sie war es so gewohnt, immer auf der Hut sein zu müssen, dass sie nie damit rechnete, dass ihr nicht mindestens drei Personen an den Kragen wollten. Oder ihrem Vater zumindest.
     Anya hingegen war schon immer unbeschwerter gewesen. Der ganze Hass, der ihre Familie begleitet hatte, wo auch immer sie hingegangen waren, schien einfach an ihr abzuprallen. Und dafür bewunderte Akara sie. Vielleicht war sie auch ein bisschen neidisch. Anya war schon immer sehr viel besser bei anderen angekommen als sie. Vor allen Dingen bei den Männern. Für sie hatte sich bislang noch nie ein Mann interessiert, außer Elrik.
     „Du hast dich ja rausgeputzt“, bemerkte ihre Schwester. „Wo gehst du denn hin?“
     Akara war sich nicht sicher, ob sie ihr die Wahrheit sagen sollte, aber sie entschied sich schließlich dafür. Anya war es meistens sowieso egal, was sie tat. Oder mit wem sie zu tun hatte. Sie hatte ihre Schwester jedenfalls noch nie ein schlechtes Wort über ihre Nachbarn verlieren hören.
     „Ich gehe rüber zum Stamm.“ Sie zögerte. „Elrik feiert heute seine Einführung als Stammesführer.“


Als Anya das hörte, klatschte sie erfreut in die Hände. „Großartig! Zeit für mich, rüberzugehen und mich seinen Eltern vorzustellen. Dann bin ich endlich weg von hier.“
     Akara glaubte, sich verhört zu haben. Sie war ja sonst eher der ruhige Typ, der alles mit sich machen ließ, aber diesmal war das anders. Wenn sie nicht jetzt eine Grenze zog, würde ihre Schwester Elrik nie in Ruhe lassen. Dafür kannte sie Anya zu gut.
     „Hör mal, Anya, es tut mir leid für dich, aber ich würde dich darum bitten, die Finger von Elrik zu lassen. Er gehört mir.“


„Na sicher doch! Wer’s glaubt!“, lachte Anya.
     Akara wusste selber nicht, was Elrik an ihr fand, dass sie sie ihrer Schwester vorzog, die wesentlich hübscher und auffallender war als sie. Aber dennoch war es verletzend, das zu hören.
     „Ob du es glauben willst oder nicht, aber er hat mich gefragt, ob ich seine Gefährtin werden will“, stellte Akara klar. „Und er sagte auch, dass er an dir kein Interesse hat.“
     Anyas Lachen verklang, und für einen Moment stand sie stocksteif und mit ihrem ausdruckslosen Gesicht ad, das sie immer an den Tag legte, wenn sie in ihre Gedanken abschweifte.


Doch diesmal blieb sie nicht in ihren Gedanken. Bevor Akara sich versah, brach ihre Schwester wie ein Vulkan über sie herein.
     „Warum?“, schrie sie. „Das ist nicht fair! Du hast immer nur Glück! Dir geht es gut! Du musst nie leiden! Warum geht es dir gut, während ich immer nur leiden muss? Warum bekommst du alles, während ich das aushalten muss? Warum immer ich? Warum nie du? Warum bist du sein Lieblingskind und mich… mich…“ Sie brach ab und kämpfte mit ihren Tränen, bevor sie wiederholte: „Das ist nicht fair! Das ist nicht fair! Ich wollte doch endlich frei sein!“
     Ihre Stimme zitterte und dann brach sie erneut. Und mit ihr die lebensfrohe Schwester, von der Akara immer gedacht hatte, dass ihr nichts etwas anhaben könnte. Sie sah die Tränen in den grauen Augen, die immerzu gelächelt hatten, sah den Hass in ihrem Gesicht und das Leid, aber sie konnte es nicht wahrhaben.
     Was nur war gerade geschehen?


Und dann, bevor Akara auch nur die Chance erhielt nachzufragen, war ihre Schwester herumgewirbelt und davongelaufen.
     Was nur war ihr all die Jahre entgangen?
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Hier weiterlesen -> Kapitel 40 

Zu Anya möchte ich zu gegebener Zeit etwas schreiben. Das ist schließlich ein überaus schweres Thema.

Ich finde es immer wieder spannend, wenn selbst ich beim Schreiben mir denke: "Ach komm schon, mach doch nicht so einen doofen Fehler!" Alles alleine machen und auf sich nehmen zu wollen, während man alle anderen belügt, ist jedenfalls keine gute Idee. Vor allen Dingen nicht, wenn man diese anderen dann später auch noch anführen will...
Zu Elriks Verteidigung muss ich aber sagen, dass er noch sehr jung ist und dadurch, dass die Zeiten nicht mehr so hart sind, wie noch zu seines Vaters Zeiten, er nicht so schnell hatte erwachsen werden müssen und das zeigt sich jetzt eben auch an seinem Verhalten. Elrik müsste noch einiges über Vertrauen und Verantwortung lernen, bevor er ein guter Stammesführer werden kann. Blöd nur, dass sein Vater das nicht erkennt und ihn dennoch jetzt schon zum Stammesführer machen will. 

Ich hoffe, ihr habt mein tolles Fallenkunstwerk bewundert. Ich habe ewig lange darüber nachgedacht, wie ich am besten eine Falle im Spiel mache und letztendlich ist es dann ein Loch mit schiefem Teppich drüber geworden ^^' ... Naja, Elrik ist halt nicht gut im Fallenbau... *hust*...

Falls ihr euch übrigens wundert, dass Enn so dunkel aussieht: Im Gegensatz zu allen anderen, die den ganzen Sommer immer wieder wie rote Krebse rumliefen (vor allen Dingen Jin), hat er es geschafft, sich eine Sonnenbräune zuzulegen.

Takka hat übrigens Welpen bekommen, die man, u.a., bei den Outtakes finden kann und ich habe Anya und den neuen Welpen zu den Charakteren hinzugefügt.

Nächstes Mal dann ist es soweit: Das Fest zur Einführung von Elrik als neuer Stammesführer des Uruk-Stammes beginnt und es wird einiges passieren.

Ich wünsche euch ein frohes Osterfest, danke fürs Vorbeischauen und ich verabschiede mich!

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