War es das Richtige, was er tat?
„Über solche Dinge solltest du mit deinem
Vater lieber vor der Zeremonie sprechen. Er ist noch immer der Stammesführer,
aber in erster Linie ist er auch dein Vater. Du solltest ein bisschen Vertrauen
in ihn haben.“
Rahns Worte
klangen noch immer in seinen Ohren. Elrik wusste, dass er recht hatte. Verdammt
nochmal, er wusste es selber, dass das, was er vorhatte, seinen Vater nicht
glücklich machen würde. Es würde ihn verärgern. Es würde wahrscheinlich eine ganze Menge Leute verärgern.
Aber die Frage
war, was er sonst tun sollte.
‚Vertrauen haben‘, dachte er sich. ‚Wie kann ich Vertrauen in meinen Vater
haben, nach all dem, was er die letzte Zeit getan hat?‘
Wann war das
eigentlich passiert? Er hatte seinen Vater immer bewundert, und er
hatte ihm alles erzählt. Aber dann waren die Hells aufgetaucht, sein Vater
hatte sich so sehr verändert und seitdem vertraute er ihm nicht mehr.
‚Nein, ich vertraue niemandem mehr. Das ist
es. Vielleicht hat sich mein Vater verändert, aber ich habe es auch‘,
stellte er erschüttert fest. Und es gefiel ihm nicht.
Er wollte
niemanden mehr anlügen. Er wollte nicht mehr alles allein schultern müssen.
„Und du solltest deine neue Tracht anlegen, Elrik.“
Elrik
blinzelte gegen die untergehende Sonne, als er seinen Namen hörte, und er
brauchte etwas, um überhaupt zu verstehen, dass sie mit ihm redeten.
Der Schamane sprach schon die ganze Zeit über die Vorbereitungen. Er hatte
nicht einmal aufgehört zu reden, seitdem er aus dem Wald zurückgekehrt war.
„Das Leben in einem Stamm bedeutet nicht nur
Zusammenhalt, sondern auch, dass wir einander vertrauen und aufeinander bauen
können. Und das gilt nicht nur für den Stammesführer.“
Das hatte der
Schamane ihm gesagt, aber Elrik hatte es sich, wenn er ehrlich war, nicht
wirklich zu Herzen genommen. Dabei ging es hier nicht nur um ihn oder seinen
Vater. Hier ging es um sie alle. Um ihn und den Stamm, den er demnächst
anführen sollte. Ihm wurde eiskalt. Er fühlte sich nicht bereit dazu.
„Ähm… bevor
wir anfangen, muss ich nochmal kurz“, hörte er sich sagen.
‚Schon wieder
habe ich gelogen.‘
Er sah seinen
Vater lächeln und den Schamanen wohlwollend nicken, und ihm wurde schlecht. Als
würde er verfolgt, rannte er davon.
Als er bei ihrem alten Wasserloch wieder zum Stehen kam, war ihm der kalte Schweiß auf der Stirn ausgebrochen. Er wollte am liebsten davonlaufen, aber stattdessen musste er sich damit begnügen, Mut im Anblick seiner Liebsten zu suchen. Er hoffte, dass sie seine Zweifel zerstreuen konnte. Doch zu seinem Unmut war sie noch gar nicht da.
Es dauerte eine entsetzlich lange Weile, in der Elrik nichts anderes tun konnte, als dem Himmel dabei zuzusehen, wie sich ein immer dunkleres Blau über das milde Orange des Sonnenuntergangs goss. Hätte er seine Gedanken nicht gezwungen, sich darauf zu fokussieren, wäre er wahrscheinlich inzwischen wahnsinnig vor Angst geworden.
Doch als seine
Akara schließlich auftauchte – nicht, dass er nicht auch befürchtet hatte, sie
würde nicht kommen – ging ihm das Herz auf. Alle Angst war mit
einem Mal von ihm abgefallen und alles, was von ihr blieb, war ein dumpfes
Gefühl in seinem Magen und die Kälte, die ihn nach seinem Schweißausbruch nun
zu durchdringen begann.
„Es tut mir
leid, dass ich so spät bin!“, rief Akara bestürzt, als sie vor ihm zum Stehen
kam. „Ich habe mich mit meiner Schwester gestritten und bin ihr nachgerannt…“
Ihre Schultern fielen plötzlich in sich zusammen und ganz automatisch machte Elrik einen Schritt auf sie zu, um ihr die Hände auf die zierlichen Schultern zu legen.
„Habt ihr euch
wieder vertragen?“, fragte er, obwohl es ihn gerade nur interessierte, dass es
seiner Akara gut ging.
Sie ließ den
Kopf hängen. „Nein. Ich habe sie nicht einmal gefunden. Aber
einer eurer Leute ist aufgetaucht und ist ihr nach. Er sagte, er würde sich um
sie kümmern.“
„Einer meiner
Leute?“
Akara nickte.
„Der dunkle Mann mit dem Bogen. Der vorher im Wald mit uns war.“
„Rahn?“
Was hatte der
denn mit Akaras Schwester zu schaffen? Elrik wusste ja nicht einmal, dass sie sich kannten.
Obwohl, jetzt wo er darüber nachdachte, waren sie sich einmal begegnet. Damals
am Strand…
Er zwang seine Gedanken zurück ins Hier und Jetzt, wo Akara gerade wieder betroffen auf ihre Hände hinabsah. Er ging auf sie zu und legte ihr eine Hand an die Wange.
„Ich bin mir
sicher, dass Rahn das regeln wird.“ Er hatte nicht einmal eine Ahnung, warum
sich die Schwestern sich überhaupt gestritten hatten, aber ihn beschäftigten momentan auch
andere Dinge. „Du siehst übrigens hübsch aus. Meine Eltern werden sich freuen,
dich kennenzulernen.“
Es war
gelogen, dass sie sich freuen würden, das wusste er auch. Aber was sollte er anderes sagen? Es reichte doch, dass er eine
Heidenangst vor dem Aufeinandertreffen seiner Leute mit seiner zukünftigen Gefährtin
hatte, da musste sie das doch nicht auch noch haben.
Akara sah ihn dementsprechend zweifelnd an, ließ sich dann jedoch zu einem halbherzigen
Lächeln hinreißen. Doch Worte für die bevorstehende Begegnung hatte sie keine.
Die waren ihr irgendwo auf halbem Wege im Hals stecken geblieben. Denn trotz Elriks Zuversicht hatte natürlich auch sie Angst.
Elrik holte noch einmal tief Luft, bevor er zu seinen Leuten zurückkehrte. Inzwischen hatten sich alle auf dem Festplatz beim Schrein versammelt, und sie alle sahen ihm erwartungsvoll entgegen, als er sich näherte.
Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er, dass sogar die zeremoniellen Feuer inzwischen brannten. Es war alles vorbereitet und man wartete nur noch auf ihn. Er fühlte sich so klein, als er in den Kreis der Wartenden trat.
Niemand sprach an, dass er noch immer nicht mal seine neue Tracht trug.
Bevor ihn der Mut dazu verließ, ergriff er selber zuerst das Wort: „Bevor wir anfangen, möchte ich euch noch jemanden vorstellen. Die Frau, die ich ausgewählt habe, meine Gefährtin zu werden.“
Bevor ihn der Mut dazu verließ, ergriff er selber zuerst das Wort: „Bevor wir anfangen, möchte ich euch noch jemanden vorstellen. Die Frau, die ich ausgewählt habe, meine Gefährtin zu werden.“
Er hatte sich
dazu entschieden, als er auf Akara gewartet hatte. Auch wenn es spät war, war
es nur richtig, dass er das tat, bevor er der neue Stammesführer wurde. Er
wollte seinen neuen Posten nicht mit einer Lüge antreten.
Seine Eltern hatten keine Ahnung, von wem er sprach.
Nicht einmal eine leise Vorahnung, das sah er ihnen im Gesicht an. Da war doch
tatsächlich so etwas wie Freude in dem seines Vaters zu sehen.
„Ich wünschte,
du hättest sie uns früher vorgestellt, aber wenn sie hier ist, bring sie her“,
sagte er.
Sein Herz sank ihm in die Kniekehlen, aber dennoch zwang er sich zu einem Lächeln, drehte sich um und winkte seiner Liebsten zu, die noch immer halb hinterm Heuhaufen versteckt stand und wartete.
„Akara!“, rief
er laut. „Komm her!“
Sie schlüpfte
aus den Schatten und als sie ins Licht der Feuerschalen trat, sah er, dass
auch sie ein tapferes Lächeln aufgelegt hatte. Und das, obwohl sie gerade
bestimmt nicht minder aufgeregt war als er selber. Dennoch war es für ihn so
beruhigend, das zu sehen – sie zu sehen – dass er sich ein wenig entspannte.
Zumindest, bis sein Vater hinter ihm mit Schwung hochfuhr. Und er blieb nicht allein. Seine Mutter, ja sogar seine Großmutter, waren auch sogleich auf den Beinen, als sie sahen, wer sich ihnen da näherte.
„Was macht
die hier? Ich will keines von den Bälgern dieses Dia-Hundesohnes hier auf
meinem Hof sehen! Verschwinde, bevor ich dir Beine mache, Mädchen!“
Akara ging
sofort auf Abstand und Elrik konnte nichts anderes tun, als entrüstet nach Luft
zu schnappen. Ihm fehlten die Worte. Er hatte ja gewusst, dass sein
Vater ablehnend reagieren würde, aber er hatte dennoch gehofft, dass er sich
wenigstens ein bisschen zusammenreißen würde. Vor allen Dingen vor allen anderen.
Da schob
sich Lu zwischen Tann und die verängstigte Akara. „Immer mit der Ruhe! Ich
denke, dass es das Beste ist, wenn du, Elrik und die junge Dame hier euch
zurückzieht, und ihr das in Ruhe miteinander besprecht.“
Doch Tann wollte davon nichts wissen. Er war es
überdrüssig, immer reden zu sollen. Also schob er den schmächtigen Schamanen
zur Seite und packte das Mädchen am Arm. Sie würde jetzt gehen und wenn er sie
ihrem Vater persönlich in die Arme drücken musste.
Er kam jedoch nicht weit mit ihr. Ein weiterer der
Hell-Bälger tauchte auf und er hatte den Nerv, sich ihm mit gezücktem Messer in
den Weg zu stellen.
„Lass meine
Schwester los!“, forderte er.
Tanns Geduld
war am Ende. Er ballte seine Linke zur Faust und er musste sich zusammenreißen,
den Arm des Mädchens nicht zusammenzudrücken, den er noch immer fest im Griff
hatte. Wenn sie es darauf anlegten, würden sie heute bekommen, was sie
verdienten. Er war lang genug geduldig und nachsichtig gewesen.
Elrik
durchfuhr ein böser Schrecken, als er Wirt auftauchen sah, und der wurde noch
größer, als er das Messer in dessen Hand bemerkte. Als seine Leute den vermeintlichen Angreifer auch noch
einkreisten, wusste er, dass etwas Schlimmes passieren würde. Also wollte er
eingreifen. Aber wieder war jemand anderes schneller.
Akara riss sich aus Tanns Griff los und stellte sich vor
ihren Bruder.
„Hör auf,
Wirt! Er hat mir nichts getan“, beschwichtigte sie.
Sie wusste,
dass Wirt nur hatte helfen wollen. Er hatte schon immer versucht, sie zu
beschützen. Und er wusste es einfach nicht besser. Er hatte kein besseres
Vorbild, das ihm einen anderen Weg gezeigt hatte, als den der Konfrontation.
Wirt
ließ jetzt zögerlich sein Messer sinken ließ, und da drehte sie sich zu Elriks Vater um und schob
abwehrend die Hände zwischen sich und ihn. „Wir werden gehen und nicht mehr herkommen“, versicherte sie. „Wir wollen keinen Ärger.“
Elrik erschrak, als er das hörte. Mit einem Satz
stand er neben seinem Vater. „Aber Akara…“
„Es hat keinen
Sinn, Elrik. Tut mir leid“, fiel sie ihm ins Wort.
Dann war sie abgedreht und er konnte nichts anderes tun,
als sie gehen zu lassen. Alles, was er gehofft hatte, ihre gemeinsame Zukunft,
die er sich mit Akara zusammen ausgemalt hatte, zerbrach vor seinen Augen.
Doch er kam nicht einmal dazu, den Schmerz zu spüren, der
sich unschön in ihm auszubreiten begann. Sein Vater ließ ihn natürlich nicht in
Ruhe.
„Was hast du
dir dabei gedacht, die hier auf den Hof zu bringen? Willst du uns alle in
Gefahr bringen?“
Elrik war es
so leid. Er war seines Vaters so überdrüssig.
„Ich wollte, dass sie meine Gefährtin wird! Die Mutter meiner Kinder! Aber du hast
dir ja nicht mal die Mühe gemacht, nachzufragen oder mit ihr zu sprechen, um
das rauszufinden!“, schnappte er. „Stattdessen hast du sie vergrault und alles
ruiniert!“
„Du hast unvorsichtig und unverantwortlich gehandelt,
Elrik!“, beharrte sein Vater jedoch uneinsichtig. „Wie kann ich dir den Stamm
überlassen, wenn du uns alle in solch eine Gefahr bringst? Nein, du wirst heute
nicht meine Nachfolge antreten, und bis du mir nicht beweist, dass du im
Interesse aller handelst und nicht nur tust, was du selber willst, wird das auch nicht geschehen.“
Er ließ ihn stehen. So viel Enttäuschung in
seinen Augen, doch Elrik hatte nur die Wut gesehen. Die Wut, die sich nun
selber durch seine Eingeweide fraß und den bitteren Beigeschmack von
Enttäuschung mit sich brachte. Er hatte seinen Vater noch nie so sehr gehasst,
wie in diesem Moment, und er wusste, dass sich das nie wieder ändern würde.
Elrik war kurz darauf verschwunden und niemand wusste, wo
er hingegangen war. Auch Tann hatte sich zurückgezogen und man konnte ihn noch
immer schimpfen hören. Dana wollte lieber nicht mit Lu tauschen, der
gerade die geballte Wut ihres Stammesführers abbekam. Auch wenn sie
verwundert feststellen konnte, dass selbst der sonst so ruhige Schamane nicht
gerade leise war.
Nachdem sie
Diana ins Bett gebracht hatte, war sie wieder nach draußen gegangen, wo
sich inzwischen kleine Grüppchen gebildet hatten. Manche hielten
Krisengespräche, wie sie an Lumas zerknitterndem Gesicht sehen konnte, andere
hatten sich dem Trunk zugewandt, der eigentlich für das Fest nach der Zeremonie
vorgesehen gewesen war. Ein Fest mit Musik und Tanz und einem neuen
Stammesführer. Das fiel nun natürlich ins Wasser, aber Dana war es sowieso
egal, ob es stattfand oder nicht. Sie hatte sich, so oder so, etwas
vorgenommen. Denn heute würde sie die Sache mit Jin endlich regeln.
Sie hatte
sich extra für ihn rausgeputzt, auch wenn sie bezweifelte, dass er es überhaupt
wahrnahm. Er war die letzte Zeit so abwesend gewesen, dass sie nicht einmal
wusste, wie sie ihn überhaupt erreichen sollte.
Sie war inzwischen sogar schon mehrmals an seiner Schulter
eingeschlafen, ohne, dass er es gemerkt hatte.
Sie hatte sich an ihn geschmiegt.
Hatte versucht, mit ihm zu sprechen, aber er hatte sie
nicht einmal angesehen.
Je mehr Zeit verging, desto weniger schien er überhaupt
mitzubekommen, was um ihn herum vor sich ging. Doch obwohl sie nicht wusste,
wie sie ihn erreichen sollte, wusste sie, dass es endlich getan werden musste.
Also schnappte
sie sich einen Becher voll Trunk, als sie sah, dass er ebenfalls einen in der
Hand hatte, und lehnte sich neben ihn an die Hauswand.
Tanja, Jana und Luis derweil waren die Einzigen, die noch beim
Festplatz standen und die es schade fanden, dass es heute kein Fest mehr geben würde.
„Also jetzt,
wo Elrik nicht der neue Stammesführer wird, werde ich das wohl werden“, sagte
Tanja gerade. „Also solltet ihr besser nett zu mir sein.“
„Vergisst du
nicht was?“, warf Jana ein. „Ich bin die Nächste, die sich dran versuchen
darf.“
Doch Tanja
hatte dafür nur ein spöttisches Grinsen übrig. „Nur die Kinder vom
Stammesführer dürfen das.“
Was nicht stimmte. Aber stattdessen erwiderte Jana
bedrohlich: „Was willst du damit sagen?“
„Na, dass du
keins von Tanns Kindern bist, natürlich.“
„Was? Wie
kommst du auf so eine bescheuerte Idee?“
„Hast du dich
eigentlich schon mal angeguckt? Wenn Tann dein Papa wäre, hättest du so blaue
Augen wie ich oder Diana. Weil Tann blaue Augen hat. Und deine Mutter auch.
Aber du hast braune Augen. Denk doch mal nach! So dumm kannst du ja auch nicht
sein, um das nicht zu sehen! Wahrscheinlich weiß deine Mutter nicht mal, wer
dein richtiger Papa ist.“
Ihre Worte trafen Jana tief drinnen. Zwar gab sie sich
nicht die Blöße, das zu zeigen, aber sie war erschüttert darüber, dass Tanja
recht hatte. Es war etwas, das sie schon lange gefühlt hatte, wenn sie ehrlich
war, aber sie hatte dennoch nie daran gedacht, dass Tann wirklich nicht ihr
Vater sein könnte.
Doch sie überspielte ihren Schrecken mit Wut, wandte sich Tanja ganz zu und richtete ihren Finger auf das andere Mädchen.
„Pass bloß auf, was du sagst, sonst verprügel ich dich, du dumme Pute!“,
knurrte sie bedrohlich.
Tanja sah sie
giftig an und obwohl Jana versuchte, ihr die Zähne zu zeigen, merkte sie
plötzlich, dass ihr die Tränen kamen.
Bevor sie Tanja aber die Genugtuung geben konnte, zu
sehen, wie sehr sie sie getroffen hatte, war sie davongelaufen.
Sie taten es. Mehr als nur einmal. Und egal, wie er es
auch versuchte, gutzureden, egal, wie gut es sich angefühlt hatte, solange sie es
getan hatten, jetzt im Nachhinein fühlte er sich hundeelend. Und das lag nicht
nur an dem Alkohol, den er getrunken hatte und der schon seit einiger Zeit immer
wieder versuchte, seinen Verstand zu vernebeln. Sicher, er konnte alles auf
dieses Zeug schieben, aber er wusste tief drinnen, dass er nach Gretas Tod viel
zu viel davon getrunken hatte, als dass das bisschen, was er an diesem Abend
getrunken hatte, ihn derart beeinflusst hätte, dass er nicht genau gewusst
hatte, was er tat.
Nein, das war
es nicht gewesen. Er hatte mit Dana geschlafen, weil er es gewollt hatte. Weil
er sich, und wenn nur für einen kurzen Moment, einfach einmal wieder gut hatte
fühlen wollen.
Seitdem Greta von der Klippe gefallen war, war seine Welt grau geworden und alles hatte sich taub und fahl angefühlt. Keine Freude, kein intensiver Schmerz, nur noch Taubheit. Also hatte er sich auf Dana eingelassen. Und es hatte ihn abgelenkt. Für eine kurze Zeit. Dann hatten sie eine Stunde schweigend aufeinander gelegen, bis Dana angefangen hatte zu zittern, und sie hatten es noch einmal getan. Er war der Taubheit ein zweites Mal entflohen.
Seitdem Greta von der Klippe gefallen war, war seine Welt grau geworden und alles hatte sich taub und fahl angefühlt. Keine Freude, kein intensiver Schmerz, nur noch Taubheit. Also hatte er sich auf Dana eingelassen. Und es hatte ihn abgelenkt. Für eine kurze Zeit. Dann hatten sie eine Stunde schweigend aufeinander gelegen, bis Dana angefangen hatte zu zittern, und sie hatten es noch einmal getan. Er war der Taubheit ein zweites Mal entflohen.
Aber dennoch hatte sie ihn wieder eingeholt und jetzt,
nachdem sie fertig waren, fühlte er sich schlechter noch, als zuvor. Danas
Blick ruhte auf ihm, aber er sah nur das helle Leuchten ihrer Haut im Schein
der aufgehenden Sonne. War es ihr Hals? Ihr Arm? Sein Blick trübte sich und er
schweifte wie so oft in letzter Zeit ab.
Vielleicht war
es gar nicht so schlecht. Vielleicht war es genau so, wie es sein sollte. War
es nicht immer das gewesen, was er gewollt hatte? Mit den Frauen Spaß zu haben,
mit ihnen Kinder zu zeugen, aber sich sonst nicht um sie zu scheren? Ohne
unsinnige Bindungen, die ihn fesselten und verloren zurückließen, wenn sie
plötzlich nicht mehr da waren? Ja, vielleicht war es besser, sein Leben wieder
so zu leben, wie er es früher immer gewollt hatte.
Und dennoch fühlte er sich mies. Und als Dana nun mit
einem Lächeln im Gesicht auf ihn zukam, wusste er, dass es damit
nicht getan war. Es war kein zufriedenes Grinsen, sondern dieses merkwürdige
Lächeln, das er in letzter Zeit häufig in ihrem Gesicht sah, wie ihm jetzt erst
auffiel.
Bevor er aber weiter darüber nachdenken konnte, hatte sie
ihn erreicht. Sie warf das helle Haar zurück, das ihn so sehr an
den Weizen erinnerte, den sie Zuhause angebaut hatten. Zuhause, dort, wo Greta
gewesen war.
„Das war…
unglaublich“, sagte sie und ihr Lächeln wurde für einen Moment zu dem breiten
Grinsen, das er eher von ihr erwartet hatte.
Es war
tatsächlich ziemlich gut gewesen. Dana verstand sich in diesen Dingen
überraschend gut. Besser als Greta. Zumindest hatte sie mehr Feuer. Trotzdem
hätte er jede Nacht mit Dana gegeben, wenn er nur noch einmal seine Greta in
den Armen hätte halten können. Ein hässlicher Schmerz stach ihn in den Bauch
und ihm wurde übel.
Dennoch ließ
er sich zu einem halbherzigen „Ja“ hinreißen. Er wollte Dana schließlich nicht
beleidigen. Oder verletzen. Er wusste ehrlich gesagt nicht, wie sie reagieren
würde, wenn er einfach geschwiegen hätte. Dana war für ihn von Anfang an ein
Mysterium an Frau gewesen. Er wusste, dass er sie nie verstehen würde und
deshalb hatte er es auch gar nicht erst versucht.
Dennoch war sie ihm wichtig. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit waren sie beide inzwischen Freunde geworden. Er hoffte nur, dass sie es noch immer waren.
Dennoch war sie ihm wichtig. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit waren sie beide inzwischen Freunde geworden. Er hoffte nur, dass sie es noch immer waren.
Dana jedenfalls schien sich mit seiner Antwort zu
begnügen. Sie lächelte wieder ihr merkwürdiges Lächeln und trat dann an ihn
heran. Ihre blauen Augen leuchteten. Greta hatte auch blaue Augen gehabt. Sie
waren von derselben Farbe wie der Ozean gewesen, an dem Tag, als sie von ihm
verschlungen wurde. Seine Sicht verschwamm vor seinen Augen.
„Ich hoffe
doch, dass wir das wiederholen werden“, drang Danas Stimme zu ihm vor und
schreckte ihn aus seinen Gedanken.
Für einen
kurzen Moment kehrte er in die Realität zurück. Und alles, was er dachte, war,
dass er das nicht mehr tun wollte.
„Nein“, hörte er sich sagen.
„Warum nicht?“ Dana klang erschrocken, aber das bemerkte er nicht. Er sah ihr ins Gesicht, sah ihre Augen, ihre Nase, ihren Mund, aber er sah ihren Schrecken nicht.
„Warum nicht?“ Dana klang erschrocken, aber das bemerkte er nicht. Er sah ihr ins Gesicht, sah ihre Augen, ihre Nase, ihren Mund, aber er sah ihren Schrecken nicht.
Seine Gedanken wollten erneut zu Greta
zurückkehren, aber eine Mischung aus Alkohol und Müdigkeit trübte seine Sinne.
Was sollte er darauf nur antworten? Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass er dieses Gespräch nicht mehr führen wollte. Dass er es in seinem Zustand nicht mehr führen konnte. Er wollte nur noch schlafen. Mit einem Mal war er so unendlich müde. Aber er wusste immerhin, dass er etwas sagen musste. Nur was sollte er sagen? Was war noch gleich die Frage gewesen? Und warum wollte er nicht?
Was sollte er darauf nur antworten? Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass er dieses Gespräch nicht mehr führen wollte. Dass er es in seinem Zustand nicht mehr führen konnte. Er wollte nur noch schlafen. Mit einem Mal war er so unendlich müde. Aber er wusste immerhin, dass er etwas sagen musste. Nur was sollte er sagen? Was war noch gleich die Frage gewesen? Und warum wollte er nicht?
„Ich will einfach nicht“, dachte er und
während er es dachte, verließen die Worte seinen Mund, ohne, dass er es merkte.
Wieder
Schrecken auf ihrem Gesicht, den er nicht sah. „Warum nicht? War es so
schlecht? Ich dachte, du hättest es auch gut gefunden!“
War sie
wütend? Frauen wurden immer so schnell wütend auf ihn. Greta auch. Sie war in
letzter Zeit so oft wütend auf ihn gewesen. Er zwang seine kreisenden Gedanken
dazu, sich auf Dana zu fokussieren. Er war so müde. Aber wenn er schlafen
wollte, musste er erst dieses Gespräch beenden. Nur noch einmal für einen
kurzen Moment kehrte er in die Realität zurück.
„Es ist
einfach zu früh dafür.“ Sie sah traurig aus. Also entschuldigte er sich. „Tut
mir leid.“
Er hatte bestimmt etwas falsch gemacht. Er machte andauernd irgendetwas falsch, ohne es zu wissen. Wahrscheinlich war Greta deshalb dauernd sauer auf ihn gewesen. Deshalb und weil er keine Kinder hatte zeugen können.
Er hatte bestimmt etwas falsch gemacht. Er machte andauernd irgendetwas falsch, ohne es zu wissen. Wahrscheinlich war Greta deshalb dauernd sauer auf ihn gewesen. Deshalb und weil er keine Kinder hatte zeugen können.
Als er den
Namen hörte, zuckte er zusammen. Hoffnungsvoll sah er sich um, aber da war nur
Dana vor ihm.
„Es ist wieder
wegen Greta, nicht wahr?“
Warum war sie
so wütend?
Mit einem Satz
war sie bei ihm. „Ich verstehe ja, dass du trauerst. Du hast sie geliebt…“
Der Rest ihrer Worte ging unter. Geliebt? Hatte er das?
War es das gewesen? Vielleicht war es das gewesen. Es würde jedenfalls den
schrecklichen Schmerz und die Taubheit erklären, die er spürte, seitdem sie
nicht mehr bei ihm war. Er wünschte sich so sehr, dass sie wieder bei ihm sein
würde.
Er wandte sich
ab. Er wollte raus, wollte nur noch verschwinden und schlafen. Greta in seinen
Träumen nur noch einmal in seinen Armen halten. Die Müdigkeit ließ seinen Kopf
schwirren, aber er schaffte es, einen sicheren Halt auf den Beinen zu finden
und vorwärts zu gehen. Er hörte eine Stimme, aber sie schien so weit weg zu
sein, dass er sie nicht verstehen konnte.
Dann füllte plötzlich ein Gesicht sein gesamtes Sichtfeld
aus und er musste anhalten, um nicht mit jemandem zusammenzustoßen.
„Ich liebe
dich, Jin!“, hörte er eine Stimme sagen.
Die Worte
brauchte eine ganze Weile, bis sie ihn erreichten. Zuerst fragte er sich, wen
er da vor sich hatte. Dann sah er die blauen Augen und dachte wieder an Greta.
Der Tag, an dem sie ihn das letzte Mal angesehen hatte. Ihre Augen waren so
merkwürdig leer gewesen. Er hatte ihr Gesicht nicht einmal mehr gesehen, als
sie gefallen war.
Und dann, mit einem Schlag, kehrte er in die Realität
zurück, in der Dana mit ihrem flehentlichen Blick vor ihm stand, sich an ihn
klammerte, und ihm wurde kalt.
„Was?“,
entfuhr es ihm und er wusste nicht einmal, ob er einfach nicht richtig gehört
hatte oder es nicht hören wollte.
„Ich sagte,
ich liebe dich!“
Es war das erste Mal, seitdem er hierher zurückgekommen
war, dass er Dana wirklich ansah. In die Augen blickte, die ihn seit seiner
Rückkehr immer ansahen. Das Gesicht, das bei seinem Anblick immer von einem
Lächeln zerfurcht gewesen war. Sie war immer da gewesen, wenn er sich umgesehen
hatte. Er hatte sie nur nicht gesehen. Und er wollte es, ehrlich gesagt, auch
gerade überhaupt nicht.
Ein ungeheurer
Fluchtdrang ergriff von ihm Besitz und er musste alles aufbieten, um ihm nicht
zu erliegen. Doch obwohl er an Ort und Stelle blieb, wusste er nach wie vor
nicht, wie er mit dieser Situation umgehen sollte. Er wusste nur, dass, egal
was er tat, es falsch sein würde.
Er wollte sie fragen, wie sie nur auf sowas kam, aber
stattdessen entzog er sich ihr und wiederholte nur: „Dafür ist es noch zu
früh.“
Er sah, wie
sich ihre Augen mit Tränen füllten und der Schrecken darüber ließ ihm noch
kälter werden. Er hatte wirklich keine Ahnung, was er tun sollte. In einer
ersten Reaktion hatte er die Hand nach ihr ausgestreckt, um sie zu trösten,
aber irgendetwas sagte ihm, dass es nicht sehr gut sein würde, wenn er sie nun
in den Arm nahm. Also ließ er es bleiben und entschuldigte sich erneut, bevor
er umdrehte und so hastig den Hof verließ, als wären zehn Wölfe hinter ihm her.
Und momentan hätte er es lieber mit einem ganzen Rudel davon aufgenommen als mit
Dana.
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Tja, das war wohl nichts. Dana hätte vielleicht auch nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen sollen. Und war da nicht noch eine Kleinigkeit namens Jana, die sie vielleicht vorher noch hätte erwähnen sollen?
Derweil ist - welch Überraschung - die Sache mit Akara, Elrik und Tann natürlich auch nicht gut ausgegangen. Elrik sieht nur die Ungerechtigkeit seines Vaters und der sieht nur die Sicherheit des Stammes, für den er verantwortlich ist. Jetzt ist nicht nur die Beziehung zwischen Vater und Sohn dahin, sondern steht auch in den Sternen, ob Elrik jemals der nächste Stammesführer werden wird.
Tanja jedenfalls ist sich ziemlich sicher, dass sie dann in die Fußstapfen ihres Vaters treten wird und hat Jana damit ganz schön vor den Kopf gestoßen. Es ist für ein kleines Mädchen in diesem Zeitalter natürlich fraglich, ob sie sich dem genetischen Zusammenhang zwischen Eltern und Kindern so sehr bewusst ist, dass ihr auffällt, dass Jana mit Tann und Dana als Eltern eigentlich blaue Augen haben sollte. Vor allen Dingen, da sie die braunen Augen ja auch von ihrer Großmutter Luma hätte erben können. Ist mir in Generation 4 übrigens jüngst passiert, dass da ein kleines Mädchen die blauen Augen ihres Opas geerbt hat, während ihre Eltern keine blauen Augen hatten.
Gibt ein Outtake.
Gibt ein Outtake.
Auf nächstes Kapitel habe ich mich schon beim Bildererstellen total gefreut. Denn nächstes Mal kommt endlich ein bisschen frischer Wind in die Jin-Dana-Angelegenheit und einige Geheimnisse werden endlich gelüftet.
Bis dahin, danke fürs Vorbeischauen und ich verabschiede mich.
Und einen schönen Ostermontag euch noch!
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