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Sonntag, 8. April 2018

Kapitel 42 - Familie



Akara war losgegangen, kaum, dass die Sonne ihre ersten Strahlen ausgestreckt hatte. 
     Der Schamane des Uruk-Stammes war am gestrigen Abend noch zu ihnen gekommen und hatte die Nachricht gebracht, dass Elrik verschwunden war. Nun, nicht ihnen allen natürlich. Ihr Vater hatte schon geschlafen, und Akara war froh darüber gewesen. Sie hatte schon genug, um das sie sich momentan Sorgen machen musste, da konnte sie es nicht gebrauchen, dass ihr Vater von ihrer Liebäugelei mit dem Sohn des Uruk-Häuptlings erfuhr.
      Elrik war jedenfalls keine dieser Sorgen. Sie wusste, dass er nicht einfach fortlaufen würde, ohne dass er nicht wenigstens versuchen würde, sie zum Mitkommen zu überreden.
     Natürlich hatte es ihr wehgetan, dass sie nicht mit ihm zusammen sein konnte. Sie hatte deswegen beinahe die ganze Nacht hindurch geweint, aber dann waren die anderen Sorgen hinzugekommen, sie hatte ihre Tränen getrocknet und beschlossen, ihn aufzugeben. Sie hatte es, wenn sie ehrlich zu sich war, ja schon von Anfang an gewusst, dass ihr Glück nicht von Dauer sein würde. Es war nichts, das sie nicht schon kannte.
     Weil sie auch nicht dachte, dass Elrik etwas Dummes tun würde, hatte sie nicht riskiert, nachts auf die Suche nach dem Verschwundenen zu gehen. Sie hatte dem Schamanen versichert, dass sie ihn finden würde, hatte sich wieder hingelegt und war bei Sonnenaufgang losgegangen. Wie sie es sich gedacht hatte, fand sie ihn auch an dem Ort, an dem er sie damals darum gebeten hatte, seine Gefährtin zu werden.


Ihr Herz verkrampfte sich, als sie die zusammengekrümmte Gestalt am Fuße des Baumes sah, die Elrik war. Er musste die ganze Nacht dort gewesen sein. Vielleicht war er auch schon seit zwei Tagen dort. Seitdem sein Vater sie und ihre Beziehung abgelehnt hatte.
     „Da bist du ja“, sagte sie zu ihm, und bei ihrer Stimme schreckte Elrik auf und zwei große, erschrockene Augen trafen sie. „Alle machen sich schon Sorgen um dich, weißt du.“


Im nächsten Moment war er auf den Beinen und hatte die Arme um sie geschlungen.
     „Akara!“, rief er und seine Stimme klang ungewohnt kratzig.
     Als er sie wieder losließ, konnte sie die unverkennbar dunklen Ringe unter seinen Augen sehen. Er war blass und sah auch ansonsten nicht gerade gut aus. Sie fragte sich, ob er überhaupt geschlafen oder gegessen hatte, seitdem er von Zuhause fortgelaufen war.
     „Ich bin ja so froh, dass du hier bist. Ich hatte schon Angst, dass dein Vater dich eingesperrt hat.“


Sie wollte ihn fragen, wie er darauf kam, aber er ließ sie gar nicht zu Wort kommen.
     „Es tut mir so leid, wie sich meine Leute verhalten haben! Ich weiß gar nicht, was ich dir sagen soll, um dir zu zeigen, wie leid mir das tut! Ich hätte es eigentlich wissen müssen! Ich hätte es wissen müssen!“
     „Schon gut. Ich kenne das ja schon“, versuchte sie ihn zu beruhigen. „Mein Vater, und damit wir, waren bislang nirgends sonderlich beliebt, falls du dich erinnerst. Du solltest deinen Leuten nicht so viele Vorwürfe deswegen machen. Sie versuchen nur, zu beschützen, was ihnen lieb und teuer ist. Da kann ich ihnen keine Vorwürfe machen. Es ist nur klug, dass sie das tun. Du solltest auch lieber zurück zu deiner Familie gehen.“
     Doch Elrik wollte davon nichts wissen. Nichts von ihrem Vorschlag und schon gar nicht davon, einzusehen, dass sein Vater einen Grund für seine Tyrannei haben könnte.
     „Pah! Der kann mir gestohlen bleiben!“, sagte er, als hätte Akara nur über seinen Vater gesprochen.


Dann änderte sich sein Gesichtsausdruck urplötzlich und so etwas wie ein verstohlenes Lächeln stahl sich auf seine Lippen, das da völlig fehl am Platz wirkte.
     „Ich habe eine viel bessere Idee! Wie wäre es, wenn wir zusammen fortgehen würden?“, schlug er vor. „Vielleicht zu einem der anderen Stämme. Oder ganz woanders hin. Wo uns niemand kennt.“
     Er hatte die letzten zwei Tage sehr intensiv über das Geschehene und ihr Problem nachgedacht, und es schien ihm die einzige Lösung zu sein.


„Ich denke nicht, dass wir das tun sollten“, sagte Akara jedoch. „Ehrlich gesagt, denke ich auch nicht, dass wir uns noch länger sehen sollten, Elrik.“
     Es war der schwere Part. Sie hatte schon befürchtet, dass er sie nicht so einfach aufgeben würde wie sie ihn. Natürlich war jetzt sofort Schrecken auf seinem Gesicht zu sehen, dicht gefolgt von Verzweiflung.
     „Aber warum nicht? Nur, weil unsere Eltern es nicht gutheißen, dass wir
     „Das ist es nicht“, fuhr sie dazwischen. „Ich könnte sicherlich mit dir fortgehen, aber ich habe mich dazu entschieden, zu bleiben. Ich kann einfach nicht weggehen.“
     „Und warum nicht?“


„Weil ich es meiner Schwester schuldig bin, hierzubleiben. Und nicht nur ihr. Auch meiner Mutter, meinem Bruder und meinem Großvater bin ich es schuldig. Aber vor allen Dingen meiner Schwester. Denn ich habe den Verdacht, dass Vater ihr etwas antut. Etwas, das ein Vater seiner Tochter nicht antun sollte.“
     Sie machte eine Pause, um unglücklich ihre Füße zu betrachten, während Elrik noch eine ganze Weile brauchte, um auch nur den Hauch einer Idee zu haben, wovon sie sprach. Doch selbst dann wollte es ihn nicht so wirklich erreichen. Er konnte einfach nicht begreifen, dass ein Vater seinem Kind so etwas antun konnte.
     „Ich weiß es nicht sicher, ob es so ist“, fuhr Akara fort,weil sie mir nicht antworten will, wenn ich sie darauf anspreche. Aber es wäre Vater zuzutrauen. Nach allem, was er schon getan hat. Nach allem, was er selbst Mutter angetan hat.“
     Elrik wusste schon seit Beginn ihres Monologes nicht mehr, was er dazu sagen sollte. Dennoch rutschte ihm nun ein: „Was denn?“, heraus.
     „Du musst wissen, dass meine Mutter nicht immer so… abwesend wie jetzt war. Früher soll sie eine aufgeweckte, neugierige und lebenslustige Frau gewesen sein. Das hat Vater selber erzählt. Sie und Großvater Cain sind damals zusammen durch die ganze Welt gereist.
     Doch eines Winters wurde Großvater schwer krank. Sie waren gerade unterwegs und nirgends war eine Menschenseele außer ihnen. Mutter ist ewig gelaufen, bis sie schließlich eine Hütte in einem Wald fand, in der sich Vater damals eingenistet hatte. Sie bat ihn, zu helfen, aber er wollte nichts davon wissen, wenn sie ihm nicht... gefällig sein würde. Mutter war bewaffnet, aber er war es auch, und er war der Einzige, der ihr helfen konnte.
     Also hat sie zugestimmt und obwohl es das Leben von ihrem Vater gerettet hat, hat es Ihres zerbrochen. Du siehst ja selber, dass es nicht bei ihrer Abmachung geblieben ist. Er hat sie eingesperrt, zusammen mit ihrem Vater. Er hat sie gehalten wie Vieh. 
     Als ich klein war, hat Mutter noch manches Mal gelächelt, daran erinnere ich mich genau. Aber inzwischen lächelt sie nicht mehr. Und Großvater ist so oft krank, dass er ihr nicht mehr helfen kann.“


„Deswegen muss ich bei ihnen bleiben. Mutter braucht mich, Großvater geht es immer schlechter, und ich kann auch Anya mit diesem Monster nicht allein lassen. Ich muss ihr irgendwie helfen. Ihnen allen.“
     Da war Elrik an sie herangetreten und hatte ihr Gesicht in seine Hände genommen. „Wir werden ihnen helfen!“, versicherte er inbrünstig. „Ich werde alles tun, um dir und deiner Familie zu helfen, Akara!“
     Doch Akara schüttelte unglücklich den Kopf, bevor sie seine Hände sachte fortstieß. „Nein, Elrik. Ich möchte dich nicht länger da mit reinziehen. Das ist meine Sache, und ich werde es sein, die das regelt. Ich habe mich lange genug nur auf dich verlassen. Jetzt bin ich dran. Du solltest lieber zusehen, dass du die Sache mit deiner Familie klärst, bevor es zu später dafür ist.“
     Sie drehte ab, aber bevor sie ging, ließ sie ihm noch da: „Du hast eine gute Familie, Elrik. Deine Eltern meinen es nur gut mit dir, und dafür solltest du dankbar sein. Du solltest lieber alles dafür tun, dass du sie nicht verlierst.“


Doch ihre Worte erreichten ihn nicht. Alles, was er momentan sehen konnte, war die Ungerechtigkeit darüber, dass er nicht einfach glücklich sein konnte. Dass Akara nicht an seiner Seite sein konnte.


Lu hatte die letzten beiden Tage so gut wie gar nicht geschlafen sein kurzes Nickerchen am Strand und die ein-, zweimal, die er diese Nacht in einen unruhigen Halbschlaf geglitten war und die Sorgen hatten ihn jedes einzelne Mal wieder geweckt.
     Er hatte beinahe die ganze Nacht hindurch gesucht, und nicht nur er. Wenn er ihn nicht hinter sich schnarchen hören würde, hätte er gedacht, dass Tann sogar immer noch suchen würde. Der Stammesführer hatte es zwar nicht zugegeben, aber Lu hatte die Sorge um seinen Sohn nur zu deutlich auf seinem Gesicht gesehen. Sorge, und erstmals auch Zweifel, der Lu dort doch sehr überrascht und erfreut hatte, zu sehen.
     Dennoch war Elrik verschwunden geblieben, und auch von Rahn fehlte nach wie vor jede Spur. Seine Mutter war die ganze Nacht auf und ab gelaufen, und er hatte sie nur schwerlich davon abhalten können, in die Nacht hinauszugehen, um mit den Anderen zu suchen. Obwohl sie es niemals zugegeben hätte, war sie nicht mehr so fit wie früher und brauchte ihre Ruhe.


Er hatte mit dem Mädchen gesprochen, das Elrik mitgebracht hatte. Akara war ihr Name. Sie hatte ihm zwar versichert, dass sie wusste, wo er war, aber nicht allein das Fehlen von zwei Stammesmitgliedern war es, das Lu momentan Bauchschmerzen bereitete. Elrik, Tann, Rahn, die Situation mit den Nachbarn. Es war in letzter Zeit so vieles geschehen und er hatte nichts davon lösen oder gar verhindern können. Ja, er hatte vieles davon nicht einmal mitbekommen!
     Was für ein Schamane war er überhaupt, dass er so etwas nicht mitbekam? Dass man ihm so wenig Vertrauen schenkte, um ihn zu Rate zu ziehen? Sich ihm anzuvertrauen?
     Er musste etwas tun. Es konnte so nicht weitergehen. Tann kam schon lange nicht mehr allein zurecht, egal, was er sagte. Und deshalb war es jetzt an ihm, zu helfen. Aber was sollte er tun? Wie konnte er helfen, wenn er zuvor schon derart kläglich als Schamane versagt hatte?


Während er über eine Lösung des Problems sinnierte, war er ins erste Zwielicht des Tages hinausgetreten und zum Schrein hinübergegangen. Das rituelle Morgenfeuer brachte eine angenehme Wärme in die noch kühlen Morgenstunden, die bald schon einem heißen Sommertag weichen würden. Er legte die Opfergaben bereit und als die Getreidehalme zischend in den Flammen vergingen, hob er den Kopf zum Himmel.
     Die Götter waren nicht dafür da, ihm bei seinen Sorgen zu helfen. Sie brachten Regen, Gewitter, Sonnenschein, sie ließen das Wasser fließen und die Ernte gedeihen. Aber dennoch fand er Trost im Gebet. Er hatte schon oft Trost und manches Mal auch Rat gefunden, wenn er in seinen Gedanken zu ihnen gesprochen hatte. Immer, wenn er einsam gewesen war, immer, wenn er nicht weiter gewusst hatte, hatte er sich ihnen zugewandt. Und deshalb tat er es auch diesmal.


‚Was soll ich nur tun, ihr Götter?‘
     Er wusste, dass sie ihm nicht antworten würden, aber allein den Rauch zu beobachten, der sich langsam über seinem Kopf zu bilden begann, brachte ihm Ablenkung und seinem eigenen Geist neue Ideen. Es war beinahe, als wäre die dunkle Wolke über ihm ein lebendiges Wesen, das behütend auf ihn hinabblickte.


„Du bist also Schamane geworden“, stach eine tiefe Stimme mitten in seine Konzentration und ließ ihn erschrocken zusammenfahren.
     Sofort war er auf den Beinen und als er sich nach dem Störenfried umsah, bemerkte er Wulfgar, der unweit von ihm entfernt am Vorratsschuppen stand. 
     Wulfgar! Er hatte ihn vollkommen vergessen!


„Äh…“, gab er hilflos von sich. Er konnte nichts anderes tun, als den unerwarteten Gast mit offenem Mund anzustarren.
     „Siehst gut aus“, sagte Wulfgar grinsend und entblößte dabei eine Reihe an erstaunlich gesunden Zähnen. „Steht dir.“
     „Machst du dich etwa über mich lustig?, fand Lu endlich seine Stimme wieder. Ich weiß, dass ich dämlich aussehe.“
     Eigentlich war er mächtig stolz auf seine Tracht. Aber irgendwie schämte er sich momentan trotzdem.
     „Ich würde mich doch niemals über dich lustig machen“, erwiderte Wulfgar, und Lu wusste nicht, ob er das jetzt ernst meinte oder nicht.


Wulfgar kam jetzt zu ihm, und als er vor ihm stehen blieb, hatte Lu einen Kloß im Hals.
     „Warum das lange Gesicht? Ich sollte eigentlich so aussehen nach der Sache, die meine Schwester da gemacht hat.“
      Lu hatte natürlich davon gehört. Aber er ging nicht weiter darauf ein. Stattdessen sagte er: „Oh, hier ist auch so einiges los. Richtig lustig in letzter Zeit, sag ich dir. Da wären zum einen unsere neuen, netten Nachbarn, mit denen wir uns so gut verstehen, dass Tann ihnen am liebsten Mal die Spitzen unserer Speere näher zeigen würde. Nicht zu vergessen, dass er sich gerade wunderbar mit seinem Sohn versteht. So gut, dass wir gerade keine Ahnung haben, wo er sich aufhält. 
     Erwähnte ich schon, dass Rahn verschwunden ist? Das mit Dana und Jin hast du ja selber mitbekommen. Ach ja, und beinahe alles davon habe ich nicht einmal mitbekommen, weil ich nichts anderes tun kann, als mir den Mund fusselig zu reden, aber mir anscheinend niemand zuhört oder mir was sagt.“
      „Ich sehe schon, ich habe ganz schön was verpasst.“
      „Definitiv.“


„Hey, ich kenne natürlich nicht die Details, aber wenn ich eines auf meinen Reisen gelernt habe, dann, dass sich alles irgendwann auflöst. Es ist nur eine Frage der Zeit und davon, ob und wie viele Menschen letztendlich sterben.“
      „Soll mich das jetzt etwa beruhigen?“ Lu seufzte schwer. „Das tut es nämlich überhaupt nicht! Ich versuche hier ja gerade, Todesopfer zu vermeiden!“
     „Deine Aufgabe ist immer die schwerste. Die des Friedenswahrers, meine ich. Aber wenn du optimistisch bleibst und weiter dafür kämpfst, wird das schon. Da bin ich zuversichtlich. Du darfst nur nicht aufgeben. Dann hast du schon verloren.“
     „Ich hoffe, du hast recht.“


Wulfgars Zuversicht hatte ihm ehrlich gefehlt. Es tat gut, mal ein paar aufmunternde Worte zu hören, als sie immer nur erteilen zu müssen. Vielleicht war das auch der Grund, dass sich Lu nun doch ein versonnenes Lächeln auf die Lippen setzte, obwohl ihm überhaupt nicht nach Lächeln zumute sein sollte.
     Wulfgar tat es ihm gleich, und einen Moment lang taten die beiden nichts anderes, als sich anzulächeln. Lu störte es nicht, dass sie nicht mehr sprachen. Er mochte es auch, wenn sie schwiegen. Hauptsache, Wulfgar war da.


Bevor Wulfgar zum Weitersprechen ansetzen konnte, kam jemand drittes hinzu. Lu verschluckte sich, als er Luis aus dem Haus kommen sah, und dann beschlich ihn auch noch ein schlechtes Gewissen obendrein.
     „He, Papa, ich dachte, du würdest mich wecken. Wir wollten das Morgenritual doch zusammen abhalten.“
     Luis war in letzter Zeit ganz versessen darauf, alles zu lernen, was es brauchte, um ein Schamane zu sein. Er hielt auch nicht hinterm Berg damit, dass er seinem Vater eines Tages als Geistlicher des Stammes nachfolgen wollte.
      „Tut mir leid, Luis. Ich habe das bereits erledigt.“


„Was? Aber du hast es versprochen!“, beschwerte sich der Junge entrüstet.
     „Ich weiß, aber ich habe gerade so viel zu tun, dass ich es vergessen habe. Morgen dann, ja?“
     Eigentlich hatte er nur zu viele Sorgen, die ihn beschäftigten, aber das musste Luis ja nicht wissen. Lu war noch immer etwas überfordert im Umgang mit Kindern, aber Luis war glücklicherweise ein sehr umgängliches Kind. Lu hatte vor allen Dingen niemals damit gerechnet, dass sein Sohn ihn eines Tages bewundern würde.


„Das ist übrigens Wulfgar. Ein alter Freund“, lenkte Lu die Unterhaltung auf ein anderes Thema, als die Zitrone nicht aus dem Gesicht seines Sohnes verschwinden wollte. „Und das ist Luis. Mein Sohn.“
      Luis kniff die Augen zusammen, wie er es die letzte Zeit oft tat, als er Wulfgar ansah, und grüßte verhalten. Dann jedoch wandte er sich wieder an seinen Vater.


„Wenn Mama dich noch nicht gesehen hat, solltest du übrigens lieber abhauen und woanders essen. Weil sie heute das Essen macht, weil Dana nicht aufgestanden ist. Sie ist krank oder so, sagt Mama.“
     Als Lu das hörte, zog sich sein Magen automatisch zusammen. Schon allein beim Gedanken an Lulus Kochkünste wurde ihm speiübel. Er fragte sich ernsthaft, wer sie überhaupt an die Herdstelle gelassen hatte.
     „Wirklich?“, fragte er nach, und er konnte nicht verhindern, dass sich dabei das Grauen auf sein Gesicht verirrte.
     „Ja. Mich hat sie schon gesehen. Leider. Deswegen muss ich da durch, aber du hast Glück und solltest lieber abhauen. Bete für mich, dass ich das überlebe.“


„Sind Lulus Kochkünste wirklich so schlimm?“, fragte Wulfgar, nachdem Luis wieder nach drinnen gegangen war.
     „Oh, du hast ja keine Ahnung. Du solltest lieber zusehen, dass du ganz schnell von hier verschwindest.“
     „Da bin ich ja mal gespannt. Ich hab schon so einiges gegessen, was du dir wahrscheinlich nicht mal vorstellen kannst. Ich glaube, bis jetzt hat mich nur die Kochkunst der Kannibalen zum Wegrennen gebracht.“


Als Lu ihn nur zweifelnd ansah, aber nichts mehr dazu sagte, kam er auf ein anderes Thema zu sprechen: „So, du und Lulu habt inzwischen ein Kind zusammen, ja? Oder sind es noch mehr?“
     „Nein, nur Luis. Aber wie kommst du überhaupt drauf, dass Lulu Luis‘ Mutter ist?“
     Wulfgar lachte. „Weil sie schon damals ein Auge auf dich geworfen hat, deshalb. Ich bin ja, ehrlich gesagt, ein bisschen neidisch auf dich, was das angeht. Ich hätte ja auch gern eins. Ach was, ich hätte gerne einen ganzen Stamm voll davon.“


Das konnte Lu nicht so nachvollziehen. Aber er fragte: „Warum hast du dann keins? Ich meine… ich habe ja auch eins.“
     „Schon, aber ich hab einfach noch keine Frau gefunden, die bereit war, einem Reisenden Kinder zu schenken. Zumal ich ja schon gern sehen würde, wie meine Kinder aufwachsen.“ Er seufzte. „Kinder und Reisen vertragen sich anscheinend nicht so gut, wenn man die Mutter nicht gleich mitnehmen will.“


Lu wollte fragen, ob er schon mal daran gedacht hatte, einfach irgendwo sesshaft zu werden, bestenfalls hier vor Ort, als plötzlich und unerwartet der vermisste Elrik auftauchte.


Er rief nach dem Schamanen, aber dennoch war es Wulfgar, der zuerst zu ihm sprach: „Hey, Elrik! Du bist ja ganz schön in die Höhe geschossen. Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, hast du mit Aan zusammen noch Nickerchen auf mir gemacht.“
     „Ähm…“
     Wulfgar lachte. „Ist ja auch schon eine Weile her, was?“ Er warf Lu einen Blick zu. „Ich werde euch dann mal lieber allein lassen.“
     Und er ging, um sich tapfer dem Essen von Lulu zu stellen.


„Schamane, ich möchte dich um deinen Rat bitten. Und um deine Hilfe, brachte Elrik umgehend sein Anliegen vor, nachdem Wulfgar fort war. Bitte hilf mir! Es muss doch einen Weg geben, wie ich es schaffen kann, dass Akara hier leben kann.“
      Lu war ja schon sehr froh darüber, dass endlich mal jemand von den Sorgenkindern zu ihm kam. Wenn er nur gewusst hätte, wie er helfen sollte.
      „Nun, ich kann dir keinen universellen Ratschlag erteilen, Elrik. Ich denke, dass es das Beste ist, wenn du dich erst einmal mit deinem Vater aussprichst“, riet er ihm deshalb nur.
      „Mit dem kann man sowieso nicht sprechen! Es muss doch einen anderen Weg geben! Irgendetwas! Bitte, Schamane, du kannst doch bestimmt irgendeinen Einspruch oder so einlegen! Du bist schließlich der Schamane! Die Götter sprechen zu dir, also muss Vater doch auch auf dich hören!“


‚Wenn es nur so wäre…‘
     „So einfach ist das nicht, Elrik.“
     „Akara braucht meine Hilfe! Wenn mein Vater mit etwas recht hat, dann damit, dass ihr Vater ein schrecklicher Unmensch ist. Akara sagt, dass er ihrer Schwester Schlimmes antut, und ich habe Angst, dass er auch ihr etwas antut. Bitte, wir müssen sie da rausholen!“


Lu war mehr als nur erschüttert, als er das hörte. Er hatte ja schon bemerkt, dass mit Dia Hell nicht gut Kirschen essen war, aber dass selbst seine eigenen Kinder unter ihm zu leiden hatten, erschreckte ihn zutiefst.
     Wenn es stimmte, was Elrik sagte, dann war die Not größer, als er gedacht hatte. Dann musste er etwas unternehmen. Etwas, das vielleicht drastischer war, als dass ihm lieb war.
     „Nun…“  Er zögerte. „Wenn ich deinen Vater einschätzen müsste, dann gibt es nur einen Weg, wie du ihn auf die Schnelle dazu bekommen kannst, Akara hier aufzunehmen…“
     Natürlich wurde Elrik da hellhörig. „Was denn?“, drängte er aufgeregt, als Lu nicht weitersprach.
     „Tann würde niemals seine Familie im Stich lassen.“
     Damit war alles gesagt. Elrik brauchte nicht mehr zu hören. Er hatte es auch so verstanden. Wenn er wollte, dass sein Vater Akara bei sich im Stamm aufnahm, musste er ihn mit Akara zusammen zum Großvater machen. Und wenn Akara erst einmal hier war, würden auch ihre Geschwister, ihre Mutter und ihr Großvater hier Schutz finden können. Denn dann gehörten auch sie zur Familie.
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Hier weiterlesen -> Kapitel 43

Wenn das mal so eine gute Idee ist. Aber wenigstens hat Elrik endlich eingesehen, dass er nicht alles allein schultern kann und Hilfe braucht. Jetzt muss nur noch Akara überzeugt werden.
Elrik ist also erstmal zurück (obwohl er am liebsten weg wäre), was man von Rahn noch nicht sagen kann. Und das, obwohl Anya scheinbar wieder Zuhause ist.

Nächstes Mal dann versucht Elrik, Akara zu überzeugen, während Lu an seinem eigenen Ratschlag zweifelt.

Bis dahin, danke fürs Vorbeischauen und ich verabschiede ich hier.
 

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